Wenn man im Sommer 2012 vom Berliner Hauptbahnhof zum Kapelle-Ufer ging, sah man schon von weitem die Baustelle des Neubaus des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Sie war umgeben von einem blauen Bauzaun, auf dem auch „www.bmbf.de“ zu sehen war und auf dem sich verschiedene Motive befanden. Gleich nach dem Beginn der Baustelle, wenn man die Straße Alexanderufer überquert hatte, sah man jedoch ein Motiv, das gar nicht so richtig zu einem Ministerium passt, das den Begriff „Bildung“ im Namen hat. Dabei handelte es sich um ein Flugzeug, dessen Kondensstreifen aus dem Schriftzug „YOU! INFORM YOURSELF ABOUT CHEMTRAILS“ bestanden. Hier haben wir also die typische Vorgehensweise der Chemtrail-Verschwörungstheoretiker, auf Dummenfang zu gehen und neue Anhänger zu finden. Und das an einem Bauzaun des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Wie konnte der Schriftzug auf den Zaun kommen?
Das BMBF war der Meinung, dass es sich bei der Umzäunung seines Neubaus nicht einfach nur um einen einfachen Bauzaun handeln soll, sondern dass man diese Fläche sinnvoll nutzen konnte. Nun trug das Wissenschaftsjahr 2012, eine Initiative des BMBF, den Namen „Zukunftsprojekt ERDE“ - darum sollte es gehen. Umgesetzt werden sollte das, indem Schüler den Zaun gestalten. So weit, so gut; eigentlich war das eine nützliche und feine Sache.
Ausgewählt wurde die Anna-Seghers-Schule in Berlin-Adlershof, aus deren 12. Klasse Schüler die Gestaltung mit der Fachbereichsleiterin Frau Anett Friedrich durchführen sollten. Was man aber offensichtlich nicht wusste: Die Verschwörungstheoretiker dieser Schule nutzten die Gelegenheit, ihr Gedankengut somit höchst öffentlich einzubringen. Dieses Vorgehen, das an Sekten erinnert, hat natürlich immer das Ziel, neue Anhänger zu finden und diese in die Ziele der Verschwörungstheorien (u. a. Leugnung des Klimawandels, Manipulation, Abzockerei, Bindung an Rechte) einzubinden. Ob der Physikunterricht an der Anna-Seghers-Schule so schlecht war oder ob die Schüler die Märchen von den Chemtrails vorsätzlich aus Eigennutz verbreiteten, weiß man natürlich nicht.
Das Werk war getan und es wurde natürlich auch bekannt gemacht. Beschäftigt hatte sich dabei aber anscheinend niemand mit den einzelnen Motiven. So machte die Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung und Forschung, Cornelia Quennet-Thielen, in einem Grußwort darauf aufmerksam und ironischerweise hieß es dort:
„Meine Damen und Herren, lassen Sie nun, den Zaun auf sich wirken. Ich wünsche mir, dass viele Einwohner und Besucher dieser Stadt damit zum Nachdenken angeregt werden und die Botschaften unserer jungen Künstlerinnen und Künstler so Verbreitung finden.“
In Bezug auf das Chemtrail-Motiv könnte man das auch eindeutiger formulieren:
Meine Damen und Herren, vergessen Sie alles, was Sie in Physik gelernt haben, beschäftigen Sie sich mit Chemtrails und verbreiten Sie diese Verschwörungstheorie
weiter. Bildung ist nicht mehr erforderlich und den Klimawandel gibt es auch nicht.
Auch das BMBF präsentierte den Zaun, sogar mit Slideshow und einer recht umfangreichen Bildersammlung. Dabei sah man auf das Chemtrail-Motiv, es konnte also nicht nachträglich hinzugefügt worden sein. Und so machte auch das Bundesministerium für Bildung und Forschung Werbung für die Verschwörungstheorie und stritt den Klimawandel ab.
Das Wissenschaftsjahr hatte auch eine eigene Facebook-Seite. Und wie soll es anders sein - dort fand man ebenfalls einen Beitrag zum Zaun mit Bildern. Und auch dort war das Bild mit der Werbung für die Chemtrail-Märchen enthalten. Das Wissenschaftsjahr machte also Werbung für die Chemtrail-Verschwörungstheorie und stritt den Klimawandel ab.
Ganz besonders deutlich wurde es allerdings auf der Seite des „Zukunftsprojekt ERDE“. Da gab es das Motiv mit der Werbung für die Verschwörungstheorie dann schon gleich mal schön groß zu sehen. Hatte man sich nicht spätestens hier die Frage gestellt, was das Motiv bedeuten soll? Oder wusste man es und hat damit stillschweigend der Verbreitung der Verschwörungstheorie zugestimmt? Das Zukunftsprojekt ERDE trug jedenfalls somit offensichtlich zur Verdummung der Menschen bei, statt die Bildung zu fördern. Den Klimawandel stritt es damit auch ab. Für alle, die versuchen, über die Chemtrail-Märchen aufzuklären, war das ein heftiger Schlag ins Genick.
BMBF, Frau Cornelia Quennet-Thielen und die Anna-Seghers-Schule wurden angeschrieben und über den Sachverhalt informiert. Eine Antwort kam nicht, statt dessen wurde die Werbung weiter geduldet. Letztendlich kann man da nur sagen: Armes Deutschland, in dem sogar das Ministerium und eine Schule zur Verdummung beitragen.
Sehr erfreut über diese Werbung werden ganz sicher Umweltbundesamt, Wetterdienste, Airlines, Jörg Kachelmann und alle anderen, die von den Chemtrail-Gläubigen permanent mit ihren Märchen bombardiert werden, sein. Immer wieder merkt man, dass sehr viele Chemtrail-Gläubige aufgrund ihrer Aufgeschlossenheit gegenüber Bedrohungen auch den Weg zu den Rechten, „Reichsdeutschen“ und Esoterikern finden und immer mehr versuchen sie, weitere Anhänger zu finden. Immer mehr wird den einfachen Erklärungen der Verschwörungstheorien geglaubt, statt sich wissenschaftlich mit Zusammenhängen auseinanderzusetzen.
Das BMBF und die Anna-Seghers-Schule haben hier einen Beitrag dazu geleistet.
Bevor ich meine Kinder der Anna-Seghers-Schule in Berlin-Adlershof anvertrauen würde, würde ich mir große Gedanken über die Kompetenz dieser Schule machen. Ich möchte nicht, dass meine Kinder durch die Schule Verschwörungstheorien ausgesetzt sind und ihre Physik-Schwächen unter Duldung des BMBF auch noch öffentlich zur Schau stellen. Aber zum Glück brauche ich mir diese Gedanken nicht mehr zu machen, denn alle unserer Kinder sind bereits beruflich erfolgreich und lachen heute über diejenigen, die wegen ihrer Unaufmerksamkeit im Physikunterricht jeden Müll glauben.
Es gibt zum Glück immer noch Wissenschaftler, die über solche Geschichten aufklären. So zum Beispiel Florian Freistetter.
Im Blog der SKEPTIKER ist zu lesen, dass das Motiv so zu verstehen sei, „dass man sich über angebliche Chemtrails informieren solle, statt einfach blind an diese Verschwörungstheorie zu glauben“, dass die Künstlerin das Motiv etwas unglücklich gewählt und die Missinterpretation sie verletzt habe.
Dieses Anliegen wäre tatsächlich gut und interessant. Aber da muss man sich schon ein paar Fragen stellen.
Zuerst sollte nachdenklich machen, warum so viele Menschen die Botschaft nicht in der gewünschten Richtung verstanden haben. Die Kommentare in Blogs, u. a. bei Florian Freistetter, in Foren und an anderen Stellen zeigen dies.
Die wichtigere Frage ist aber eine andere. Das Motiv entspricht genau der Taktik der Chemtrail-Gläubigen: sich über Chemtrails informieren, nach Chemtrails suchen, auf die vielen Sites mit den leicht zu verstehenden Chemtrail-Märchen gelangen, stutzig werden und daran glauben.
Warum verwendet man also die Taktik der Chemtrail-Gläubigen und läuft Gefahr, deren Ziele zu erreichen, wenn man eigentlich etwas ganz anderes erreichen möchte? Warum verwendet man eine Methode, die genau das Gegenteil erreicht?
Wäre der Hinweis, sich über das interessante Gebiet der Contrails, also der Kondensstreifen, zu informieren, nicht zweckmäßiger gewesen?
Und somit hat das Motiv wohl auch weiterhin den Zweck der Chemtrail-Gläubigen erfüllt - selbst wenn es stimmen sollte, dass damit etwas anderes gemeint war. Es nützt nur leider nichts, wenn das nur die Künstlerin, das BMBF und vielleicht die Schüler wussten.
Die taz berichtet darüber unter der Überschrift Werbung am Bildungsministerium - Ministerium für Verschwörung. Dazu werden die Chemtrail-Märchen beschrieben und auch die taz kommt zu dem Fazit:
„Die Künstlerin erklärte gegenüber dem Blog der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften übrigens, das Motiv solle nicht für die Chemtrails-Theorie werben, sondern zur kritischen Auseinandersetzung damit aufrufen. Wenn das wahr sein sollte, ist es zumindest reichlich naiv. Die Vorstellung, dieses Motiv würde keine neuen Anhänger der kruden Theorie gewinnen, sondern Chemtrails-Gläubige bekehren, erfordert jedenfalls eine rege Fantasie.“
Da beim Beitrag in der taz eine Kommentarfunktion existiert, wittert die so genannte Bürgerinitiative "Sauberer Himmel" des Rechtsanwalts Storr ihre Chance. Wie so oft gibt es auf der Website die Aufforderung an die Auftragsschreiber von „Sauberer Himmel“, Kommentare zu den Chemtrails zu hinterlassen - diesmal eben bei der taz:
Unter http://www.taz.de/Werbung-am-Bildungsministerium/Kommentare/!c97574/#send-comment können Sie dort Kommentare hinterlassen.
Und folgsam reagieren die Auftragsschreiber des Sauberen Himmels, wie u. a. am Kommentar einer Ursula Becker zu sehen ist.
Nebenbei: In dem Text beim Sauberen Himmel merkt man auch gleich, dass von Herrn Storr und seinen Leuten wieder etwas nicht verstanden wurde. Dort heißt es weiter:
Verweisen Sie dabei doch auf das Max-Planck-Institut für Chemie, das sich jüngst in einem abschließenden Symposium mit den "Chemtrails" bzw. "Aerosol Injections" befasst hat (vgl. >http://implicc.zmaw.de/Symposium-May-2012.2013.0.html). Vielleicht erkennt dann auch die taz, dass dieses Thema in der Wirklichkeit angekommen ist.
Nun, wer nicht in der Wirklichkeit angekommen ist, ist die Frage. Im Ergebnis des Symposiums wurde durch die Max-Planck-Gesellschaft ein Dokument erstellt, in dem man sich eindeutig positioniert:
„Die Studie zeigt, das sich durch Geo-Engineering ein vorindustrielles Klima nicht wiederherstellen lässt. ‚Selbst wenn wir es schaffen, die Temperatur über die gesamte Zeitdauer konstant zu halten: Durch Geo-Engineering erzeugen wir ein anderes, neues Klima‘ sagt Hauke Schmidt. Es ist ein Klima mit global veränderten Niederschlägen.
Die Studie kommt außerdem zu dem Schluss, dass eine Minderung der Treibhausgase das Klima effektiver schützt als die Reduktion des Strahlungsantriebs. Die Autoren der Studie mahnen deshalb, dass ein derartiger Eingriff in die Klimaprozesse keine Ersatz-Strategie sein kann, um die globalen Auswirkungen des Klimawandels abzumildern.“
Man lehnt also Geoengineering ab. Willkommen in der Wirklichkeit. Abgesehen davon ging es dort gar nicht um die angeblichen Chemtrails, also die weißen Streifen am Himmel - aber den Zusammenhang verstehen die Chemtrail-Gläubigen sowieso nicht.